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Rechtlos zwischen allen Stühlen - Bericht aus einem Dorf bei Jerusalem

03. Apr 2006

Die EinwohnerInnen von Nu´aman haben ein reichlich absurd anmutendes, aber durchaus reales Problem. Ihr Dorf wurde 1967 von den Israelis dem Jerusalemer Gebiet zugeschlagen, aber sie haben aus unklaren Gründen die grünen Westbank-Ausweise. Und Leute mit grünen Westbank-Ausweisen dürfen sich seit Ausbruch der zweiten Intifada nicht mehr ohne besonde…

Zwei Wege führen nach Nu’aman, einem kleinen Dorf zwischen Bethlehem und Jerusalem. Einen davon hat die israelische Armee im Jahr 2003 mit Felsblöcken versperrt und seitdem führt der staubige, ungeteerte Weg nur noch mittels eines Fußmarsches von ungefähr einer halben Stunde ins Dorf. Der andere Weg ist eine befahrbare Straße. Eine ungehinderte Durchfahrt nach Nu’aman ist allerdings für die BewohnerInnen des Dorfes auch dort nicht möglich.

An der Straße, die ins Dorf führt, wartet häufig die Grenzpolizei, um Ausweise zu kontrollieren. Zwar hat ein israelisches Gericht vor kurzem entschieden, dass die BewohnerInnen von Nu’aman in die Westbank und zurück in ihr Dorf reisen dürfen, aber das hindert die Polizisten nicht daran sie immer wieder aufzuhalten. Seit einiger Zeit verläuft in der Nähe von Nu’aman nun auch der israelische Trennungszaun und zwar so, dass Nu’aman innerhalb des Jerusalemer Gebiets liegt. Die EinwohnerInnen von Nu’aman fordern, dass sie entweder Jerusalemer Ausweise bekommen, so dass sie sich frei in Israel bewegen können, oder aber, dass Nu’aman der Westbank zugeschlagen wird, damit sie sich dort problemlos bewegen können. Die israelische Regierung hat trotz zahlreicher Gerichtverfahren bisher keine dieser einfachen Forderung erfüllt.

Weil die BewohnerInnen von Nu’aman keine Jerusalemer Ausweise haben, behauptet die Jerusalemer Verwaltung, auch, dass sie nicht zuständig sei für Wasser- und Stromversorgung oder Müllabfuhr. Die BewohnerInnen von Nu’aman mussten selbst Lösungen finden, teilweise in Absprache mit den Nachbardörfern.

Damit enden die Probleme in Nu’aman noch längst nicht. Vor einigen Monaten wurde einer der Männer aus dem Dorf in eine Wache der Grenzpolizei gebracht, zusammen mit seinem Bruder. Der Bruder wurde entlassen, der Mann musste bleiben. Einige Stunden später fanden ihn die Dorfbewohner an sein Maultier gebunden, bewusstlos und mit gebrochenem Schädel. Er starb ein paar Tage später im Krankenhaus, mit 40 Jahren. Der Schluss liegt nahe, dass die Grenzpolizei die Verantwortung dafür trägt, aber es gibt bisher keine Untersuchung. Dafür hat die Familie, die wie die meisten Familien in der Westbank keine Krankenversicherung hat, eine hohe Krankenhausrechnung zu bezahlen. Eine Gruppe von Ecumenical Accompaniers hat seine Tochter besucht, die sich nun plötzlich in der Rolle der Sprecherin für die Familie wieder findet. Sie studiert in Betlehem, aber da sie jedes Mal, wenn sie durch den Zaun muss, von den Grenzpolizisten belästigt wird, geht sie nun nur noch manchmal zur Universität. Die israelisch-palästinensische Friedensgruppe Ta´ayush unterstützt ihre Familie mit etwas Geld, so dass sie weiter studieren kann.

Inzwischen sind in Nu’aman mehrere Häuser von der Armee zerstört worden, und möglicherweise werden bald weitere folgen. Die Lebensbedingungen für die EinwohnerInnen sind so hart, dass der Fall in Israel und international Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Israelische Menschenrechtsorganisationen wie B’Tselem versuchen auf dem Gerichtsweg Verbesserungen zu erreichen. JournalistInnen aus mehreren Ländern, unter anderem CNN, haben über Nu’aman berichtet. All dies hat bis jetzt jedoch nicht zu einer Änderung der israelischen Politik geführt. In Nu’aman habe ich mich gefragt, wie Menschen unter diesen Bedingungen weiter leben können. Wenn sich die israelische Politik nicht ändert, gibt es keine Hoffnung für Nu’aman.

Jerusalem, 1. April 2006